Irak wird nicht kapitulieren by Rainer Rupp Wednesday May 15, 2002 at 02:14 PM |
Gespräch mit dem irakischen Vizepremier Tarik Aziz.Die hauptsächlich aus Ärzten bestehende belgische Nichtregierungsorganisation »SOS-Kinder in Irak« organisierte jetzt unter Leitung des Publizisten Michèl Collon eine Reise nach Bagdad. Die 121 Teilnehmer aus 15 europäischen Ländern sowie Kanada, Neuseeland und Algerien wurden in einer öffentlichen Veranstaltung im Hotel Meridien-Palestine in Bagdad auch von Vizepremier Tarik Aziz (l.) willkommen geheißen. Anschließend gab der Politiker den internationalen Journalisten, die die Gruppe begleiteten, ein Exklusivinterview, das Rainer Rupp (r.) für ND aufgezeichnet hat.
ND: Wann erwarten Sie den USA-Angriff?
Wir wissen nicht genau wann, aber wir wissen genau, dass sie es tun werden, denn die Amerikaner haben ihre Absichten sehr klar und deutlich gemacht.
ND: Washington setzt bei seinen Kriegsplänen auf die Spaltung des Landes, in dem es im Süden den schiitischen Bevölkerungsteil und im Norden die Kurden gegen Bagdad ausspielen will.
Die Amerikaner sagen, sie wollen die Regierung in Bagdad auswechseln. Dazu kann ich nur sagen, Washington hat die derzeitige irakische Regierung nicht eingesetzt, und deshalb ist es auch nicht seine Sache, sie abzusetzen. Wenn man es trotzdem tun will, dann muss man in Irak einmarschieren. Aber das wird die USA teuer zu stehen kommen, denn sie werden um jeden Meter irakischen Bodens kämpfen müssen. Das irakische Volk ist tapfer genug, um seine Souveränität und Würde zu verteidigen und damit zugleich seine politische Führung.
ND: Auch Washington rechnet intern bei einer Invasion mit erbittertem Widerstand und hohen Verlusten. Ist das ein Grund, weshalb die Bush-Regierung nun sogar mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen gegen Länder droht, die solche Waffen nicht haben?
Die Absicht Washingtons ist klar: Die USA wollen das irakische Volk und seine Führung terrorisieren, damit wir uns kampflos ihrem Diktat unterwerfen. Aber das irakische Volk lässt sich von dieser kriminellen Erpressung nicht verängstigen. Niemand wird kapitulieren.
ND: Wie realistische ist denn die Möglichkeit der Abspaltung eines kurdischen Dissidenten-Staates im Norden?
Wir hoffen und glauben, dass alle Kurden, die auf dem irakischen Territorium leben, als freie Bürger jederzeit ihre legitimen Rechte durchsetzen können. Um das zu erreichen, muss man Irak nicht erst in zwei Länder und zwei Nationen aufspalten. Die beiden Anführer der kurdischen Bewegung haben mir sowohl öffentlich als auch in privaten Gesprächen ohne Umschweife versichert, dass sie nicht die Unabhängigkeit anstreben. Sie sagen nach wie vor: Wir sind Iraker, und unser Land ist Teil Iraks.
ND: In Ihrer Rede haben Sie von der internationalen Bewegung gegen die Globalisierung gesprochen und dass Irak beabsichtigt, Teil dieser Bewegung zu werden. Wie stellen Sie sich das vor? Auch unter Berücksichtig der äußerst differenzierten Strukturen der irakischen Gesellschaft, die sich einerseits durch eine breite Schicht höchst gebildeter Ingenieure, Lehrer, Ärzte und Techniker auszeichnet, während sich andere Teile der Bevölkerung zunehmend der Religion zuwenden?
Niemand braucht wegen des religiösen Trends in Irak Angst zu haben. Dieser Trend ist nicht falsch. Die Gläubigen, egal ob Christen oder Muslime, sind gute Menschen, und sie können viel für ihre Nation tun und ihren Nachbarn helfen. Angesichts des drohenden Krieges und der ungeheueren Ungerechtigkeit der Wirtschaftssanktionen ist die stärkere Hinwendung zur Religion für viele Menschen eine große Hilfe. Wir haben es aber hier auf keinen Fall mit dieser Art von fanatischem Fundamentalismus zu tun, der das Herz der Menschen verschließt und sie daran hindert, die Wirklichkeit zu erkennen. Die irakischen Gesellschaft ist in Ordnung. Ich bin froh, dass die Menschen hier an Gott glauben und die islamischen und christlichen Werte hochhalten.
ND: Welche langfristige Lösung sehen Sie für den Nahen Osten?
Es ist schwierig, sich überhaupt eine bestimmte Lösung vorzustellen. Aber die Rechte des palästinensischen Volkes sind klar und an ihnen ist nicht zu rütteln. Aber ich glaube nicht, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen der amerikanisch-zionistischen Allianz es überhaupt die Möglichkeit für eine dauerhafte Lösung des Konfliktes gibt.
ND: Irak hat die Ölexporte aus Protest gegen die US-amerikanische Unterstützung für die israelische Besatzungspolitik für einen Monat gestoppt. Zugleich hat Präsident Saddam Hussein die anderen arabischen Führer aufgefordert, diesem Beispiel zu folgen. Wie war die Reaktion?
In der Tat haben wir unsere Ölexporte für dreißig Tage vollkommen eingestellt und die anderen arabischen Ländern aufgefordert, nur noch die Hälfte zu exportieren. Auf diese Weise soll über die USA und ihre Alliierten Einfluss auf Israel genommen werden, seine fortlaufende Aggression gegen die palästinensische Bevölkerung zu beenden. Leider hat sich bisher noch keine andere arabische Regierung dieser Initiative angeschlossen. Aber im Bewusstsein sehr vieler arabischen Menschen gewinnt die Idee an Bedeutung, und wir hoffen, dass andere Regierungen vielleicht doch noch folgen.
ND: Während des letzten Golfkrieges haben sieben arabische Länder den USA gegen Irak beigestanden. Wie wird die arabische Welt Ihrer Meinung nach diesmal reagieren?
Einige Länder werden inaktiv bei Seite treten, und andere werden Irak helfen – schon deshalb, weil sie wissen, dass sie als nächstes auf der Liste der Amerikaner stehen könnten.
ND: Was halten Sie vom Begriff der »Achse des Bösen«?
Dieser Begriff ist nicht nur schwachköpfig, sondern auch faktisch falsch. Zwischen den genannten Ländern gibt es keine Achse, zwischen Irak und Nordkorea nicht einmal diplomatische Beziehungen.
(ND 03.05.02)