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Aufruf für Gerechtigkeit nach den Ereignissen in Göteborg
by Erik Wijk in Schweden Tuesday December 25, 2001 at 08:17 PM
erik.wijk@odata.se

Aufruf für Gerechtigkeit nach den Ereignissen in Goeteborg


Wir, die UnterzeichnerInnen dieses Aufrufes, sind sehr besorgt wegen des
juristischen Nachspiels der Ereignisse waehrend des EU-Gipfeltreffens in
Goeteborg im Juni 2001.

Wir haben festgestellt, dass

- 50 BuergerInnen im Zusammenhang mit den Ereignissen in Goeteborg
angeklagt wurden oder in Gefahr sind angeklagt zu werden. Weitere 450 sind
identifizierte Verdaechtige, bei denen noch Ermittlungen folgen.

- Gleichzeitig hat keine der ueber 100 Anzeigen wegen Polizeibrutalitaet
dazu gefuehrt, dass beschleunigt ermittelt wird. Wir wissen, dass nur ein
Viertel aller Personen, die nach den Zusammenstoessen in Goeteborg in
medizinischer Behandlung waren, Polizeibeamte waren. Wir fragen uns, ob
diese Zahlen in Proportion zu den tatsaechlichen Begebenheiten stehen.

Die Inhaftierungszeit vieler beschuldigter junger Personen war - im
Gegensatz zum Inhalt des Gesetzes - unverhaeltnismaessig lang (ein bis
drei Monate). Die Inhaftierten wurden in der Regel in Einzelhaft gehalten.

Die Strafen fuer Ausschreitungen haben sich ploetzlich verzehnfacht und
mehr. Gegenwaertig wurden 30 junge DemonstrantInnen wegen Ausschreitungen
in Goeteborg verurteilt. In der Vergangenheit wurden hier Strafen
ausgesprochen, die sich im Rahmen von Arbeitsauflagen, Bewaehrungsstrafe
oder ein paar Monaten Gefaengnis bewegten. Die durchschnittliche Strafe
fuer die Ereignisse in Goeteborg liegt jedoch bei einem Jahr und neun
Monaten. So wurden z.B. vier Teenager zu Strafen zwischen zwei und drei
Jahren verurteilt. In Berufungsverhandlungen wurden diese haerteren
Urteile bestaetigt.

- In mehreren Faellen wurden Angeklagte mit aehnlichen Anklagen und
identischen Auswirkungen kollektiv verurteilt (bis zu acht Personen mit
bis zu vier Jahren Haft). Alle wurden angeklagt, ohne dass ihre
individuellen Verfehlungen dokumentiert waren oder nachgewiesen wurden.
Dieser Mangel an individuellen Nachweisen zeigt beispielhaft, dass es
keine Gerechtigkeit gibt.

- Die Staatsanwaelte haben jede Moeglichkeit genutzt, die Angeklagten mit
politischen Aktivitaeten und Organisationen in Verbindung zu bringen und
dabei die gesamte Bandbreite von tatsaechlicher Mitgliedschaft bis zum
angeblichen Sympathisantentum genutzt.

- Viele ZeugInnen, die fuer Angeklagte haetten aussagen koennen, haben es
vorgezogen, nicht auszusagen, weil sie Angst hatten, selbst angeklagt zu
werden und eine aehnlich erniedrigende Behandlung von der Polizei und von
seiten der Justiz zu erfahren.

- Von ZeugInnen aufgenommenes Film- und Fotomaterial wurde von der Polizei
beschlagnahmt und ist dann - Aussagen derselben Polizei zufolge - verloren
gegangen und kann daher nicht als Beweismaterial verwendet werden. Als
Strafverteidiger beantragten, das von der Polizei an bestimmten Orten und
zu bestimmten Zeiten selbst erstellte Material als Beweis einzubringen,
beschied die Polizei sie, das solches Material nicht existiert.
Gleichzeitig ist aber die Staatsanwaltschaft in der Lage, solches
Filmmaterial in anderen Faellen vorzulegen.

- Waehrend mehrerer Verfahren durfte die Staatsanwaltschaft einen
emotionsgeladenen Film von den Szenen der schlimmsten Ausschreitungen als
Beweismittel einsetzen, selbst wenn die Angeklagten in diesen Faellen
ueberhaupt nicht in der Naehe der im Film gezeigten Ereignisse waren.

- Die Staatsanwaltschaft hat in mindestens einem Verfahren einen Film als
Beweis eingesetzt, dessen Soundtrack manipuliert war. Nachforschungen zum
Ursprung dieses Films haben ergeben, dass die Manipulation waehrend der
Zeit vorgenommen wurde, in der der Film entweder von der Polizei oder der
Staatsanwaltschaft bearbeitet wurde.

- Weitere Angeklagte haben unabhaengig voneinander ebenfalls ausgesagt,
dass die Beweismittel gegen sie gefaelscht wurden.

- Die Staatsanwaltschaft hat den Polizeiueberfall auf die Schillerschule,
bei dem kartenspielende und schlagende Jugendliche auf den Schulhof
geschleift und die fuenf Stunden Polizeigewahrsam fuer einen friedlichen
Protest in Jaerntorget als "gewalttaetige Ausschreitungen" kategorisiert.
Diese Einordnung fuehrt dazu, dass moegliche ZeugInnen oder Personen, die
Beschwerde einlegen wollen, nun Anklagen wegen Teilnahme an diesen
"gewalttaetigen Ausschreitungen" riskieren.

- Waehrend des EU-Gipfels in Goeteborg wurde kein Versuch unternommen, das
Treffen mit gewalttaetigen Mitteln zu sprengen oder zu stoppen. In allen
Dokumenten, von den Anklageschriften der Staatsanwaltschaft bis hin zu den
Urteilsbegruendungen, ist davon die Rede, dass die Angeklagten versucht
haben sollen, den demokratischen Prozess zu stoeren, indem sie den EU-
Gipfel sprengen. Dies entbehrt jeglicher Tatsache.

- Weder bei den Angeklagten noch bei den anderen 30.000-40.000
schwedischen und auslaendischen TeilnehmerInnen, die vom 14.-16. Juni 2001
in Goeteborg ihre Meinung zum Ausdruck brachten, wurden Feuerwaffen oder
Explosivstoffe gefunden

- Der Oberste Gerichtshof hat bisher keine Berufung gegen irgendeinen der
Prozesse zu den Ereignissen in Goeteborg verhandelt.


Wir stellen folgende Forderungen:

- Wegen der mutmasslichen Manipulation von Beweisen durch die
Staatsanwaltschaft muss mit hoechster Dringlichkeit ermittelt werden.

- Der Oberste Gerichtshof muss die Berufungen in mehreren Faellen
verhandeln; hierbei muss besonders die Angemessenheit der verhaengten
Strafen geprueft werden.

- Sollten Beweise dafuer gefunden werden, dass Beweismittel manipuliert
wurden und/oder der Oberste Gerichtshof befinden, dass
unverhaeltnismaessig scharfe Urteile verhaengt wurden, muessen alle wegen
der Ereignisse in Goeteborg durchgefuehrten Verfahren von
Berufungsinstanzen neu verhandelt werden.

Wir verlangen ausserdem:

Alle gegen die Polizei vorgebrachten Beschwerden und Beschuldigungen
muessen von einer besonderen, unabhaengigen Kommission untersucht werden.
Sollte die Einsetzung einer solchen Kommission der Aenderung bestehender
Gesetze beduerfen, empfehlen wir, dass entsprechende Aenderungen erlassen
werden.

- Das gesamte Filmmaterial der Polizei muss den Strafverteidigern
zugaenglich gemacht werden.

- Die Faelle der Angeklagten muessen einzeln verhandeln und beurteilt
werden.

- Die Staatsanwaltschaft muss die Einordnung der Ereignisse in der
Schillerschule und in Jaerntorget am 16. Juni als "gewalttaetige
Ausschreitungen" rueckgaengig machen.

- Die Meinungsfreiheit jedeR BuergerIn muss respektiert werden und
politische Meinungen duerfen vor Gericht nicht als Beweismittel gegen die
Angeklagten verwendet werden.

- Die Gerichtsverfahren muessen vor unabhaengigen Gerichten und in
neutralen Staedten durchgefuehrt werden, was bedeutet, vor Gerichten, die
weit entfernt von Goeteborg liegen.

Wir bitten alle BuergerInnen und Organisationen dringend, unabhaengig von
ihren politischen Einstellungen, diesen Aufruf zur Verteidigung der
Gerechtigkeit zu unterstuetzen

Name Ort Land


Senden Sie diese Angaben bitte an:
e-mail: erik.wijk@odata.se

Eine Webseite unter der Adresse: http:// http://www.manifest.se/upprop
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